• Gemeinde Untermarchtal Panorama

Vor 100 Jahren bemerkenswerter Pfarrhaus-Bau in Untermarchtal mit
Hindernissen - Neues  Pfarrhaus soll entstehen

Untermarchtal (hi) Ein neues Pfarrhaus zu planen und zu bauen war in den Jahren 1922/23 ein wahrlich schwieriges und gleichzeitig mutiges Unterfangen aller Beteiligten. Mitten in dieser Unternehmung Stand der damalige Untermarchtaler Ortspfarrer der Pfarrei St. Andreas, Felix Stiegele. Doch auch weitere Personen und Behörden wurden in die spannende Angelegenheit mit einbezogen. So war es nicht verwunderlich, dass hierbei hauptsächlich die Finanzierung und ein Grundstückstausch in das Bauvorhaben im Mittelpunkt standen. Politisch gesehen hatte die Bauplanung und Finanzierung schon im Vorfeld eine rege Aufmerksamkeit auf sich geworfen.

Pfarrer Felix Stiegele, Pläne für ein neues Pfarrhaus Geboren 1881 im nahen Schloss Mochental als Sohn des Revierförsters Ferdinand Stiegele und Ehefrau Johanna geb. Buchs, 1905 Priesterweihe, wurde Pfarrer Felix Stiegele vom damaligen Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler 1917 zum Pfarrer der Pfarrei Untermarchtal ernannt. Dies war schon eine Auswahl mit politischem Hintergrund.
Stiegele war 1905 zum Sekretär des „Volksverein für das katholische Deutschland (VkD)“ vom damaligen bekannten Politiker und Landtags-Abgeordneten Adolf Gröber aus Riedlingen von der Zentrumspartei, mit bischöflicher Genehmigung berufen worden. Gröber war Stiegele`s politischer Ziehvater und Stiegele selbst wurde 1914 als Kandidat der Zentrumspartei von 1914 bis 1918 in den Reichstag und von 1916 bis 1921 sogar in den Landtag gewählt. Jedoch schied er nach dem politischen Wechsel nach dem Ersten Weltkrieg Ende 1918 aus dem aktiven parlamentarischen Leben aus. Dies waren sicher aufregende Jahre in politischer als auch kirchlicher Hinsicht. Eine bezeichnende Anekdote die er in der Pfarrchronik wie folgt vermerkte: „Nach der letzten Reichstagssitzung in Berlin Ende 1918 bei der Heimfahrt und Zugumstieg in München, kamen mir auf dem Bahnsteig schon „die Braunen entgegen“. Gewiss eine politische Vorahnung.
Für die Betreuung der Seelsorge in der kleinen Untermarchtaler Pfarrgemeinde wurde Pfarrer Stiegele in jenen Jahren ihm Salesianer-Pater Josef Döser, gebürtig aus dem nahen Sauggart, beigestellt.
Pfarrer Stiegele vermerkte gefühlvoll und trauernd auch den schweren Verlust von Soldaten der Gemeinde im I. Weltkrieg mit folgende Chronikeintrag: „Oh Tod, du hast reiche Ernte in der hiesigen Gemeinde gehalten“. 19 Männer von hier und Gütelhofen haben im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren.

Pfarrer Stiegle

Pfarrhaus-Neubau

Jetzt kommt der geplante Pfarrhaus-Neubau ins Spiel. Weil das alte Pfarrhaus in der Herrengasse für zwei Geistliche zu klein war, stellte Adlerwirt Nikolaus Brehm in seinem stillgelegtem Brau- und Mälzhaus als Wohnung zur Verfügung. Ein neues Pfarrhaus war schon in den 1870-iger Jahre am Ort gewünscht worden. Man erinnere sich; Dieses Pfarrhaus war zur Zeit der Freiherren von Speth etwa um 1740 als Kaplanei-Haus gebaut worden und diente unter anderem dem Weltpriester und Kaplan-Kurat Anton (Franz-Xaver)  S a i l e r , einem Bruder von Pater Sebastian Sailer, dem Prämonstratenser, Pfarrer und Prediger vom Kloster Obermarchtal um 1770. Im Buch von Verfasser Dr. Hermann Blankenhorn, Allmendingen, „Heiliger Tiberius von Obermarchtal“ sind die Festpredigten vom Untermarchtaler Kaplan Anton Sailer für seinen Bruder Sebastian in jener Zeit „bei seinen hochfreiherrlichen Gnaden beim Herrn Baron von Speth in Untermarchtal als Hofkaplan“ zusammengefasst. Kaplan Anton Sailer wohnte in diesem Kaplaneihaus, das seit der Loslösung von der Pfarrei Neuburg ab 1830 und der Selbstständigkeit als Pfarrei, als Pfarrhaus diente. Seit 1923 wohnte nach dem Platz- und Haustausch die Familie des Zimmermeister Wilhelm Beck. Seine Ehefrau war eine geborene Ege und deren Familie wohnte in dem abbruchreifen Haus an jenem Platz wo dann das neue Pfarrhaus gebaut wurde. (Siehe im angefügten Foto Nr. 605 oben links)
Jedoch bevor dieses Tauschverfahren mit vielen Hindernissen über die Bühne ging, war Anfang des Jahres 1920 dann die Endphase der Pfarrhaus-Neubaupläne. Dann kam noch die Neuanschaffung von 2 Kirchenglocken dazu. Die bisherigen Glocken mussten als „Kriegsleistung“ abgeliefert werden. Einen Großteil der Glockenkosten bei der Neuanschaffung von 80 000 Mark übernahm Pfarrer Stiegele´s Onkel, der Ravensburger Geheimrat Dr. Stiegele. Ein kleiner Lichtblick jener Zeit war dann 1922 die Glockenweihe.

Pfarrhaus Neubau

Tausch der Gebäude mit Platz sowie Finanzierung

Jetzt aber stand der Finanzierungsplan für das neue Pfarrhaus dringend an. Pfarrer Stiegele sammelte mutig und mit Erfolg Gelder bei seinen Gemeindemitgliedern, Freunden und hierbei war ihm sein Zentrums-Parteimitglied, der Finanzminister von Württemberg Schall aus Reutlingen sehr behilflich. Aus dem Interkalarfonds der Diözese Rottenburg mit Unterstützung des Bezirksnotariat Munderkingen in Bezug auf das Gebäude- und Grundstücktauschverfahren „altes Gebäude der Familie Beck-Ege bei der Kirche“ (heute Kirchweg) gegen das bisherige „alte Pfarrhaus in der Herrengasse“, lag der Goldmarkwert im Jahre 1922 bei 30 000 Goldmark. Zum alten Pfarrhaus in der damaligen Herrengasse, heute Freiherr-von Speth- Straße, gehört auch die angebaute Pfarrscheuer mit Viehstalll dazu. Alles zusammengebaut besteht dieses Ensemble heute nach 100 Jahren noch. Dieser Tauschwert stieg dann während Bauzeit und beim Höhepunkt der Inflation bis Ende 1923 auf astronomische 60 Billionen Mark hoch.
Pfarrer Stiegele vermerkte dann in seiner launischen Art in der Pfarrchronik den Satz: „Das sei das teuerste und doch zugleich billigste Pfarrhaus“! Zum Thema Goldmark ein Satz, kürzlich von einem Finanzexperten von heute drücken dies so aus: Vor Beginn des Ersten Weltkrieg hat der Reichstag die Goldbindung der Währung aufgehoben. Davor war die Mark zu zwei Drittel an Gold gebunden. Der Staat konnte sich stark verschulden um den Krieg zu finanzieren. Das schlechte End dieses Krieges ist bekannt. Die Wirtschaftsleistung aber um ein Drittel geringer. Die Kriegsgegner forderten riesige Reparationen in Höhe von unvorstellbarem Goldwert von 47 000 Tonnen.  Die Besetzung des Ruhrgebietes, das ökonomische Herz Deutschlands 1923 durch Frankreich, kam hinzu. Deutschland verlor 13 % seiner Fläche.
Die Folge von all diesem mündete in die Hyperinflation. Doch in Untermarchtal brachte Dank Pfarrer Stiegele´s und seiner Finanzierungskunst unter Hilfe aller Möglichkeiten den Pfarrhausneubau zu einem guten Ende.    

Alte Pfarrhaus

Schwere Zeit mit der NS-Macht

Dann kam Ende der 1920er Jahre und 1934 eine politische und Verhängnisvolle Zeit. Seine von, Stiegele`s geführter „Volksverein für das katholische Deutschland (Vkd)“ wurde aufgelöst. Ebenso 1933 die „Zentrumspartei“. Diese Partei gehörte auch der im Jahre 1921 ermordete damalige Vizekanzler und Reichsfinanzminister Matthias Erzberger aus Buttenhausen an. Von 1932 bis zu seinem Tod 1951 war Stiegele auch Dekan des Kapitels Ehingen (Donau) und gleichzeitig bischöflicher Kommissär.
Die NS-Zeit von 1933 bis Kriegsende 1945 war für Ihn sehr Entwürdigend. Er wandte sich öffentlich gegen den Nazi. Insgesamt dreimal musste er sich der NS gegenüber bei Verhaftungen, Verhören, Anklagen und Verbote den Machthaber stellen und verteidigen. Ein bedenklicher Chronikeintrag von ihm lautete: „Oh Gott, gib mir die Kraft., still zu Leiden“.

Pfarrer und Dekan Felix Stiegele starb 1951 in Untermarchtal. Seine 2 älteren Schwestern führten den Haushalt bis kurz vor seinem Tod. An der Choraussenwand der Pfarrkirche an einer Pfarrer-Gedenktafel ist sein Name vermerkt. Nahe dieser Tafel ist Stiegele beerdigt. Ein Bild mit seinen Lebensdaten schmückt den Raum der Pfarrbücherei und Pfarrsaal im Pfarrhaus. Eine eventuelle und damit auch würdige Namensgebung dieses im Jahre 1996 bei einer durchgeführten General-Renovation (Umbaukosten rund 450 000 DM) des Pfarrhauses und damit Einrichtung dieses Pfarrgemeindesaal mit Pfarrbüro und einer Wohnung im OG würde dem Haus in exponierter Lage insgesamt passend zu Gesicht stehen. Die Pfarrhauswohnung im OG ist an Privat vermietet.

Pfarrhaus um 1900